Schalungsfreie Fließfertigung adaptiver Tragstrukturen aus variablen Rahmenelementen

Schalen gehören aufgrund ihrer hohen Tragfähigkeit und Steifigkeit bei gleichzeitig geringem Gewicht und Materialeinsatz zu den effektivsten flächenbildenden Tragstrukturen. Die konsequente Umsetzung kraftadaptiver Konstruktionsprinzipien beim Bau von Schalentragwerken wird derzeit jedoch durch sehr hohe Planungs- und Herstellungskosten behindert. Im aktuellen SPP 2187-Teilvorhaben „Schalungsfreie Fließfertigung adaptiver Tragstrukturen aus variablen Rahmenelementen“ (engl.: Adaptive Concrete Diamond Construction, kurz ACDC) sollen neue Ansätze zur effektiven, industriellen und damit kostengünstigen Herstellung von Schalentragwerken entwickelt werden, indem diese durch zahlreiche, einander ähnliche Facetten approximiert werden [1-3]. Bei bevorzugter Anwendung ebener Vierecks-Facettierungen entsteht so ein diskretisiertes Schalentragwerk vergleichbar einer Gitterschale, vgl. Abb..

Prof. Dr.-Ing. Viktor Mechtcherine, TU Dresden, Inst. für Baustoffe, Deutschland

Prof. Dr.-Ing. Daniel Lordick, TU Dresden, Inst. für Geometrie, Deutschland

Zur geometrischen Beschreibung der frei geformten Tragstrukturen sowie zu deren Facettierung werden computergestützte Algorithmen entwickelt, in denen auch Strategien zur architektonischen und konstruktiven Ausarbeitung der Module implementiert sind, siehe auch [4]. Dies bildet die Grundlage für ein durchgängiges digitales Modell, mit dem sowohl die parametrische Modellierung des Tragwerkes und die Formfindung der Facetten als auch die Generierung von digitalen Datensätzen für die automatisierte Fertigung der Module abgebildet werden.

Die Module werden in eine Randzone und eine Ausfachung gegliedert. Die Randzone besteht aus ultra-hochfestem, hochduktilem Beton mit kurzen Polymerfasern [5] und definiert in Längsachse und Querschnitt die formschlüssige Randgeometrie zu den benachbarten Modulen. Diese Betonart reagiert gutmütig auf lokale Belastungsspitzen und stellt eine hohe Robustheit des Modulrandes sicher. Die Ausfachung kann in verschiedener Weise erfolgen, was die Wandelbarkeit des Moduls erhöht. Sie soll zunächst mit einer dünnen Schicht aus textilbewehrtem Beton erfolgen. Die textile Bewehrung wird belastungsgerecht durch die Ablage von Carbongarnen entlang der Hauptzugspannungstrajektorien hergestellt [6, 7]. Alternativ kann die Textilbewehrung konstruktiv ausgeführt und dazu aus Gitterhalbzeugen zugeschnitten werden.

Die Module entstehen automatisiert in einem Fließfertigungsprozess. Der Modulrand wird schalungsfrei mit veränderlichem Querschnitt durch den Endeffektor eines Extruders ausgeformt [8-10]. Die Bewehrungsgarne werden inline mit einer mineralischen Feinststoffsuspension getränkt und mit Hilfe einer Garnablageeinheit positioniert. Die Auffüllung der Ausfachung mit Beton erfolgt im Gieß- oder Sprühverfahren. Alle Werkzeuge werden von Robotern geführt, deren Steuerung sich aus dem durchgängigen digitalen Datenmodell ergibt. Die digitalen geometrischen und stofflichen Datensätze aus dem Modell sind zudem das Prüfkriterium für ein durchgängiges Qualitätsmanagement.
Die auf Grundlage digitaler Algorithmen erlangte Freiheit in der Formgebung und die variable Materialauswahl ermöglichen die Herstellung individueller Bauteile in unterschiedlichen Formen und Dimensionierungen. Damit wird der Zielkonflikt zwischen ökonomischer Serienfertigung und Individualität gelöst.

Literatur
[1] Hagemann, M., Klawitter, D., Lordick, D.: Force Driven Ruled Surfaces. Journal for Geometry and Graphics 17/2, 2013, S. 193–204.
[2] Osman Letelier, J. P., Goldack, A., Schlaich, M., Lordick, D., Grave, J.: Shape Optimization of Concrete Shells with Ruled Surface Geometry Using Line Geometry. In: Bögle, A., Grohmann, M. (Eds.): Proceedings of the IASS Annual Symposium 2017 »Interfaces: architecture.engineering.science« 25 - 28th September 2017, Hamburg, Germany. Paper #9199 1-10.
[3] Lordick, D.: Intuitive Design and Meshing of Non-Developable Ruled Surfaces. In: Proceedings of the Design Modelling Symposium, University of the Arts Berlin, 5-7 October, Berlin, Germany, 2009, S. 248-261.
[4] Bornemann, M., Melzer, S., Lordick, D.: Automated High Precision Texturing of 3D-Scans. In: Schröcker, H.-P., Husty, M. (Eds): Proceedings of the 16th ICGG. Innsbruck University Press, 2014, S. 93‑102.
[5]  Curosu, I., Liebscher, M., Mechtcherine, V., Bellmann, C., Michel, S.: Tensile behavior of high-strength strain-hardening cement-based composites (HS-SHCC) made with high-performance polyethylene, aramid and PBO fibers. Cement and Concrete Research 98, 2017, S. 71-81.
[6]  Schneider, K.; Michel, A.; Liebscher, M.; Mechtcherine, V.: Verbundverhalten mineralisch gebundener und polymergebundener Bewehrungsstrukturen aus Carbonfasern bei Temperaturen bis 500 °C. Beton- und Stahlbetonbau 113, 2018, S. 886-894.
[7] Mechtcherine, V.; Michel, A.; Liebscher, M.; Schneider, K.; Großmann, Ch.: Mineral-impregnated carbon fiber composites as novel reinforcement for concrete construction: Material and automation perspectives. Automation in Construction 110, 2020, Art. 103002.
[8] Ogura, H.; Nerella, V.N.; Mechtcherine, V.: Developing and testing of strain-hardening cement-based composites (SHCC) in the context of 3D-printing. Materials 11, 2018, 1375.
[9] Nerella, V. N.; Näther, M.; Iqbal, A. Butler, M.; Mechtcherine, V.: Inline quantification of extrudability of cementitious materials for digital construction. Cement and Concrete Composites 95, 2019, S. 260-270.
[10] Mechtcherine, V.; Nerella, V. N.: Beton-3D-Druck durch selektive Ablage: Anforderungen an Frischbeton und Materialprüfung. Beton- und Stahlbetonbau 114(1), 2019, S. 24-32.


 

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